Prof. Dr. Wolfgang Vogt 2019

Katalogtext
PAMPINALE III – Inspration Landschaft
„Tino Bittner – Start
2019

Tino Bittners Installation „Start“ wirkt auf den ersten Blick nüchtern und belanglos: auf dem Fußboden ein alter Startblock und zwei Streifen, die den Startplatz markieren, an der Wand ein winziges Polaroidfoto mit einer Start-/Landebahn in ländlicher Umgebung. Doch die Installation hat es in sich! Sie fasziniert durch ihre Widersprüchlichkeit und scheinbare Schlichtheit, hinter denen ein raffiniertes Konzept steckt. Dieses erschließt sich erst, wenn man über die vordergründigen Ungereimtheiten nachdenkt, mit denen der Künstler irritieren und eingeschliffene Sehgewohnheiten aufbrechen will.

Zunächst geben die „schiefen“ Größenverhältnisse von klotzigem Startblock und kleinem Foto ein Rätsel auf. Hinterfragt man den Sinn dieser Disproportionalität und versetzt sich in die physische, psychische und mentale Situation eines Startenden, so kann man eine Focussierung, eine geballte Konzentration auf das bevorstehende Ereignis „Start“ nachvollziehen. In dieser Situation ist man nur auf sich selbst bezogen und auf den Moment, in dem man aus der angespannten Bewegungslosigkeit, der gebannten Bewegung in die Bewegung loslässt. Alles andere – die Umgebung, das Ziel, der Weg dorthin – ist ausgeblendet. Der Startende ist fixiert auf das, was ist, und weniger auf das, was kommt.

„Start“ bedeutet immer eine bevorstehende Bewegung, in mehrfacher Hinsicht, nicht nur als Mobilität im Sinne von starten und landen, laufen und Ziel erreichen. „Start“ impliziert immer Veränderung in der zeitlichen, räumlichen und/oder mental-psychischen Dimension. „Start“ ist eine Metapher von ebenso alltäglicher wie essentieller Bedeutung im Leben eines jeden Menschen. Gestartet wird immer wieder, sei es, dass man einen neuen Tag beginnt, den ersten Schultag, eine Reise, einen neuen Job, ein neues Leben etc. Mit jedem Starten wird eine Zäsur gesetzt zwischen dem Nicht-mehr und dem Noch-nicht, dem Davor und dem Danach. Im Jetzt ist das Künftige enthalten, der Weg dahin und der Ausgang sind aber noch ungewiss. Insofern ist Starten ein ambivalenter Moment, der einerseits durchaus Ängste erzeugen und zu Bedenken wie Verzögerungen führen kann., andererseits Kräfte freisetzt und neue Erlebnisse, Erfahrungen ermöglicht. Ist der Start erst mal erfolgt, geht es darum, den richtigen Weg, die Startbahn für den Übergang vom Alten zum Neuen, von der erlebten Wirklichkeit in die Möglichkeiten zukünftiger Herausforderungen zu finden.

Mit „Start“ ist Tino Bittner eine meisterliche Installation gelungen, die eine ebenso sensible wie komplexe Situation mit einfachsten Mitteln auf den Punkt bringt. Sie ist ein tiefgründiger Beitrag zu „nah und fern“ sowie zum Verhältnis von Wahrnehmung und Bewegung, dem zentralen Thema des Künstlerkollektivs DEZERNAT5. „Start“ eröffnet den Blick aus der nächsten Nähe in die fernste Ferne – deren Inhalte offen bleiben und die Frage aufwerfen: Wo und wie wird die Landung nach dem Start erfolgen? Eine Frage, die das Leben in bewegten Zeiten immer häufiger aufwirft.

© Prof. Dr Wolfgang Vogt 2019

 


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